Ummerstadt Aktion Ungeziefer 1952
Die Vertreibung von Familien aus Ummerstadt und Erlebach im Jahr 1952
„Aktion Ungeziefer“
Vorgeschichte
Anlässlich eines Besuches einer DDR Delegation vom 01. bis 09. April 1952 in Moskau sprach Stalin in zwei Gesprächen u. a. auch über den militärischen Ausbau der DDR und über eine neue Struktur der Bewachung der Demarkationslinie zur Bundesrepublik Deutschland die als „gefährliche Grenze“ eingestuft wurde.
(Als Begründung musste die geplante Einbindung der Bundesrepublik in die westliche Verteidigungsallianz (EVG) und die negativen Reaktionen der Westmächte auf die sowjetische Note vom 10. März 1952 herhalten)
Nach der Rückkehr der
Delegation aus Moskau gab die Sowjetische Kontrollkommission konkrete Schritte
über die Verschärfung der Ordnung an der Grenze zur Bundesrepublik vor.
Am 26. Mai 1952 erließ der Ministerrat der DDR die „Verordnung über Maßnahmen an
der Demarkationslinie zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und den
westlichen Besatzungszonen Deutschlands“
In der sehr allgemein gehaltenen
Verordnung, die im Grunde nur aus drei Paragraphen bestand, wird im § 1 das
Ministerium für Staatssicherheit beauftragt „….unverzüglich strenge Maßnahmen zu
treffen für die Verstärkung der Bewachung der Demarkationslinie zwischen der
Deutschen Demokratischen Republik und den westlichen Besatzungszonen …..“
Der § 2 bestimmt die sofortige Aufhebung der Maßnahmen „….bei einer
Verständigung über die Durchführung gesamtdeutscher freier Wahlen zur
Herbeiführung der Einheit Deutschlands auf demokratischer und friedlicher
Grundlage….“ (sic!)
§ 3 regelt die sofortige Inkraftsetzung.
Auf Grundlage dieser Endscheidung trat am 27. Mai 1952 eine
"Polizeiverordnung über die Einführung einer besonderen Ordnung an der
Demarkationslinie" in Kraft.
Damit war das Startsignal zu der Einrichtung der 5-km Sperrzone gegeben.
Diese war wie folgt gegliedert:
-
10-Meter-Schutzstreifen (gerodet , gepflügt und mit einer Egge eingeebnet)
- 500 m
Schutzstreifen (zunächst nur durch Schilder, später mit einem Zaun begrenzt)
- 5-km
Sperrzone (nur mit besonderer Genehmigung zu betreten)
Die Bevölkerung in dieser Zone wurde besonders registriert und erhielt einen Stempel in Ihre Ausweise, der sie zum Betreten der Sperrzone berechtigte. Anderen Personen wurde das Betreten der Sperrzone verboten.
Auswahl der Betroffenen
Die Verordnung vom 26. Mai 1952
sollte auch die Grundlage für die Zwangsaussiedlungen entlang der Zonengrenze
bilden.
An der Demarkationslinie zur Bundesrepublik sollten die als politisch
unzuverlässig eingeschätzten Bewohner ausgesiedelt werden. Die verbleibende
Grenzbevölkerung sollte dadurch eingeschüchtert und zu angepassten Verhalten
gezwungen werden.
Der geheime Befehl (Nr. 38/52) zur Aussiedlung wurde vom damaligen Chef der
Hauptverwaltung der Deutschen Volkspolizei, Karl Maron schon am 26. Mai 1952
erlassen.
Die Auswahl für den auszusiedelnden Personenkreis erfolgte mit Hilfe von
Meldeunterlagen, Anzeigentagebüchern, einer Beschuldigten- und
Verdächtigtenkartei, gesammelten Gerüchten, Denunziationen sowie
Spitzelberichten aus den jeweiligen Regionen durch die örtlich zuständigen
Volkspolizeiämter bei denen eine Kommission aus je einem Angehörigen der
Abteilungen Pass- und Meldewesen, Kriminalpolizei und Schutzpolizei gebildet
wurde. Diese drei Personen schlugen der „übergeordneten Kreiskommission“ die
Familien vor die ausgewiesen werden sollen.
Die häufigsten durch die Volkspolizisten vorgelegten Begründungen für die
Aussiedlung basierten auf Spitzelberichten über politische Äußerungen, Kritik an
der Polizei sowie auf Kenntnissen oder Vermutungen über illegale
Grenzübertritte.
In Gegenden, in der schon jahrhunderte lang gewachsene, enge
grenzüberschreitende Beziehungen zwischen benachbarten Dörfern herrschten, wie
auch in Ummerstadt, wurde vielen das illegale Überschreiten der
Demarkationslinie zum Verhängnis.
Die als Begründung herangezogenen angeblichen Straftaten waren in fast keinem
Fall durch ein DDR-Gericht bestätigt.
Die Vorschläge wurden dann von einer dafür eingesetzten Kommission auf
Kreisebene („übergeordnete Kreiskommission“) geprüft.
Dieser Kommission gehörten in
der Regel folgende Personen an:
- 1.
Sekretär der SED Kreisleitung
- der
Landrat, sofern SED Mitglied
- sein
Stellvertreter
- Chef der
Volkspolizei
- Chef des
Ministeriums für Staatssicherheit auf Kreisebene.
Dazu kam eine aus Berlin
entsandte „Operative Kommission“ von drei Personen, die für zwei Grenzkreise
zuständig war.
Eine beim Innenminister der damals noch existierenden Länder angesiedelte
weitere „Kommission“ mussten die Listen bestätigen.
Auffällig ist, dass sich unter den deportierten Familien vor allem Angehörige
der so genannten Mittelschicht (selbstständige Handwerker, Bäcker, Gastwirte,
Landwirte) befanden. Man wollte damit vor allem den Personenkreis aus dem
Grenzgebiet entfernen, der auch einen gewissen Einfluss auf die Meinungsbildung
der dortigen Bevölkerung hatte.
Durchführung der Aktion „Ungeziefer“ (auch Aktion G oder Aktion Grenze)
In den Morgenstunden des 29. Mai
1952 begann die Zwangsaussiedlung zunächst in Sachsen-Anhalt und gegen 4 Uhr
früh am 05. Juni 1952 auch in Thüringen.
In Ummerstadt wurden die betroffenen Familien durch die Volkspolizisten aus dem
Schlaf gerissen und Ihnen wurde eröffnet, dass sie „im Namen der Regierung der
Deutschen Demokratischen Republik“ binnen zwei Stunden das Haus verlassen
müssten. Es stünden Lastkraftwagen zur Weiterbeförderung zur Verfügung.
In Ummerstadt und Erlebach waren folgende Personen betroffen (in alphabetischer Reihenfolge des Familiennamens):
-
Werner Chilian, Landwirt, Bürgermeister
-
Lilli Chilian
-
Gerold Chilian
-
Karl Domeier, Landwirt (Erlebach)
-
Änni Domeier
-
Erika Domeier
-
Heinrich Eck, selbständiger Mechaniker
-
Rosemarie Eck
-
Albin Eichhorn, Land- und Gastwirt
-
Anneliese Eichhorn
-
Otto Eichhorn
-
Horst Eichhorn
-
Joachim Eichhorn
-
Eberhard Eichhorn
-
Willi Hackert, Arbeiter
- Rosa Hackert
- Ursula Hackert
- Christa Hackert
-
Oskar Malsch, Fleischer und Gastwirt
-
Hermine Malsch
-
Liane Berghold geb. Ros, Mitarbeiterin im Rathaus
-
Hermann Ros
-
Irmgard Ros
- Martha Schüler, Lehrerin
-
Robert Süße, Bäcker
-
Erna Süße
-
Ingrid Süße
-
Wolfgang Süße
Insgesamt: 28 Personen
(aus: Sperrgebiet und die Barrikaden von Streufdorf, Andrea Herz)
Es herrschte große Aufregung in
der Stadt. Die Menschen waren von der Aktion so überrascht worden, dass kein
organisierter Protest gegen diese Maßnahmen entstehen konnte. Der Aufwand an
Polizeikräften war in Ummerstadt besonders groß, da man wahrscheinliche hier als
erstes mit Widerstand gerechnet hatte, denn die Einwohner von Ummerstadt waren
wegen ihres Zusammenhaltes bekannt.
Der Hausrat der betroffenen
Familien wurde mit Unterstützung von „freiwilligen Helfern“ auf Lastkraftwagen
verladen. Die Fahrt ging über Heldburg nach Hildburghausen. In jedem Fahrzeug
saß neben dem Kraftfahrer ein „Polizist“ in Zivilkleidung. Als der spontane
Widerstand in Streufdorf (dort hinderten u. a. die Einwohner und die für die
Rodung des 10 m Streifens anwesenden Waldarbeiter die LKW`s an der Weiterfahrt
und protestierten gegen die Vertreibungsmaßnahmen) begonnen hatte, sind die
beladenen Fahrzeuge aus Ummerstadt kurz hinter Heldburg über Westhausen
umgeleitet worden.
Am Güterbahnhof in
Hildburghausen wurde sowohl das Hab und Gut als auch die Menschen in einen Zug
verladen. Als der Zug in den Abendstunden abfuhr wusste niemand wohin die Fahrt
führen würde und viele befürchteten, dass man, wie noch viele Menschen aus Ost-
Deutschland in dieser Zeit, in die damalige Sowjetunion deportiert würde.
In den frühen Morgenstunden
wurden die Menschen (aus dem Landkreis Hildburghausen) in Plaue (Thüringen) in
einem Saal unter Bewachung versammelt. Dort hielt ein Funktionär eine Ansprache
in der, neben viel Propagandageschwätz, auch der zynische Satz fiel (sinngemäß):
„..wenn sie sich in die sozialistische Gesellschaft einfügen würden bräuchten
sie sich auch nicht als Menschen zweiter Klasse zu fühlen…“
Die Familien wurden in ganz
Thüringen (mit Schwerpunkt Landkreis Arnstadt) und darüber hinaus verteilt.
Der Besitz der Vertriebenen
wurde teilweise beschlagnahmt und 1953 in Volkseigentum überführt oder mit einer
Pseudoabfindung „entschädigt“. (Die so genannte „Entschädigung“ war eine
Verhöhnung der Betroffenen. So wurden von dem schon geringen Geldbetrag, der im
übrigen auf ein Sperrkonto eingezahlt wurde und von dem die meisten Betroffenen
nie eine Auszahlung erhalten haben, auch noch Kosten für die „Weiterführung“ des
enteigneten Betriebes abgezogen .)
Auf die teilweise dramatischen
Umstände, das Leid der Betroffenen, die Wut und die Hilflosigkeit der Menschen
gegenüber diese Willkürmaßnahmen soll hier nicht eingegangen werden.
Die Überwachung und der Druck
auf die Familien der Vertriebenen hörte auch nach Abschluss der Maßnahme nicht
auf. Bespitzelungen, Verdächtigungen, Diskriminierung und teilweise auch
Verhaftungen aus nichtigen Gründen, waren an der Tagesordnung.
Fast alle der in Ummerstadt von der Vertreibung Betroffenen sind später in die Bundesrepublik Deutschland geflüchtet und haben sich dort eine neue Existenz aufgebaut, nachdem sie die Hoffnung in ihre Heimat Ummerstadt zurückkehren zu dürfen aufgegeben hatten. Die Sehnsucht nach ihrer Heimat aber, blieb.
Es wurden mit dieser Aktion in
der DDR bis zum 15. Juni 1952 wahrscheinlich insgesamt 8369 Menschen aus ihrer
Heimat vertrieben.
Geplant waren eigentlich 10375,
die Differenz entsteht durch ca. 2000 Flüchtlinge, denen es gelang während der
Aktion die Grenze zur Bundesrepublik zu überwinden.
Bezeichnend für die
menschenverachtende Denkungsweise der verantwortlichen DDR -Bonzen ist eine
handschriftliche Notiz des thüringischen Innenministers und kommissarischen
Ministerpräsidenten Willy Gebhardt auf einer Auflistung mit Zahlenangaben für
den
2. Landesvorsitzenden der SED in
Thüringen Otto Funke.
Zitat:
„Otto, diese Zahlen hat eben Gen. König (Chef der
Landesbehörde der VP Thüringen, der Verfasser) durchgegeben. Das wäre das
Ergebnis der Kommissionsarbeit zur Beseitigung des Ungeziefers.“
Schlussbemerkung
Die Aktion Ungeziefer war nicht
die einzige Terroraktion des totalitären Staates DDR.
In einer weiteren
Vertreibungsaktion im Oktober 1961, die unter verschiedenen Namen firmierte,
z.B. den Namen „Blümchen“ oder „Aktion Kornblume“, wurden ca. 3175 Personen
vertrieben. Darunter war auch Werner Bernot mit seiner Ehefrau Brunhilde und den
Kindern Edelgard, Helmut und Adolf aus Billmuthausen, die am 03.10.1961 aus
ihrer Heimat vertrieben wurden.
Daneben wurden bis 1989 27 Orte
und Ansiedlungen entlang der innerdeutschen Grenze geschleift, weil sie zu nahe
an Grenze lagen. In der Nähe von Ummerstadt allein drei Orte (Leitenhausen,
Erlebach und Billmuthausen) Die Gedenkstätten kann man besichtigen.
Darüber hinaus wurden bis 1988 zahlreiche einzelne Zwangsaussiedlungen vorgenommen.
Antwortschreiben des Innenministers des Landes Thüringen Willy Gebhard auf den Einspruch des Heiner Eck (Ummerstadt) gegen die Vertreibung aus seiner Heimat
Antwortschreiben des Bürgermeisters von Ummerstadt Sauerbrey auf den Einspruch des Heiner Eck gegen die Vertreibung aus seiner Heimat
Einsprüche und Beschwerden an die Verantwortlichen der Vertreibung mit der Bitte um Aufhebung der Maßnahmen wurden mit zynischen Standartbriefen beantwortet.
Ganz selten, wie bei Frau Martha
Schüler, wurde der Rückumzug nach Ummerstadt erlaubt.
(Frau Schüler war 65 Jahre und
lebte als ehemalige Lehrerin mit ihren drei Schwestern, die alle über sechzig
Jahre alt waren in Ummerstadt HNr. 9 zusammen. Die Schwestern waren 1945 aus
Görkau, heute Jirkov, Sudetenland, vertrieben worden)
Für alle Betroffenen war diese Vertreibung aus der Heimat ein traumatisches Erlebnis unter dem sie lange Jahre gelitten haben. Erst nach der Wiedervereinigung ist es gelungen eine teilweise Wiedergutmachung zu erwirken.
Vielen war es leider nicht vergönnt ihren Heimatort wieder zu sehen, da sie vor der Vereinigung Deutschlands gestorben sind.
Wir sind alle aufgerufen dafür zu sorgen, dass sich totalitäre Unrechtssysteme wie, das der DDR, nicht noch einmal etablieren können und menschenverachtende Ideologien, wie die des Nationalsozialismus und des Kommunismus keine Möglichkeit der Entfaltung erhalten.
Verfasser:
Eberhard Eichhorn
Viehmarkt 99
98663 Ummerstadt